Das Kündigungsschutzgesetz greift nur dann, wenn in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Über Rechtsprechung zu Zweifelsfällen berichtet Rechtsanwältin Dr. Elke Scheibeler.
Viele werden es bereits wissen: Das Kündigungsschutzgesetz findet nur dann Anwendung, wenn der Arbeitgeber zehn Arbeitnehmer ohne die Auszubildenden beschäftigt, § 23 Abs. 1 KSchG. Ausnahmen gibt es ggf. für vor 2004 eingestellte Arbeitnehmer, die aber an dieser Stelle nicht behandelt werden sollen. Wer also im sog. Kleinbetrieb tätig ist, kann – Sonderfälle wie Schwangerschaft, Schwerbehinderung etc. ausgenommen – ohne jeden Kündigungsgrund gekündigt werden, wobei lediglich die maßgebliche Kündigungsfrist einzuhalten ist.
Dies wurde und wird von der Rechtsprechung damit begründet, dass im Kleinbetrieb es auf jeden einzelnen Mitarbeiter ankomme, so dass Leistungsdefizite oder auch zwischenmenschliche Probleme, die in Großbetrieben keinen Kündigungsgrund darstellen würden, nicht hingenommen werden können, da sie ja auch wirtschaftliche Folgen haben. Außerdem arbeite oft der Inhaber selbst mit, so dass es ganz besonders auf das Vertrauensverhältnis ankomme. Kleine Teams seien auch generell anfälliger für Missstimmungen und Störungen, Ausfälle aufgrund von Erkrankungen schwieriger auszugleichen. Ein Kleinbetrieb sei oft auch aufgrund dünner Finanzdecke nicht in der Lage, eine Abfindung zu zahlen oder den Verwaltungsaufwand eines Kündigungsschutzprozesses abzufangen.
Was passiert aber, wenn der Inhaber mehrere Kleinbetriebe unterhält, so dass das Kündigungsschutzgesetz nur dann gilt, wenn die Arbeitnehmer aller Betriebe zusammengerechnet werden? Hierzu hatte das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 28.10.2010, 2 AZR 392/08, ausgeführt. Unerheblich ist hierbei – anders als im Betriebsverfassungsrecht – die Entfernung zwischen den Betriebsteilen. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Betriebe unter einer einheitlichen Leitung stehen oder nicht. Wenn jeder Betrieb selbständig geführt wird, findet das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung, obwohl das Unternehmen insgesamt mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt und ggf. dann auch nicht mehr so finanzschwach ist, wie es von der Rechtsprechung als Rechtfertigung für den fehlenden Kündigungsschutz in Kleinbetrieben gefordert wird. Dies hatte das Landesarbeitsgericht in dem entschiedenen Fall nämlich zum Anlass genommen, die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes unabhängig von der Mitarbeiteranzahl festzustellen. Weiterhin arbeitete wohl der Inhaber selbst auch nicht mit. Das Bundesarbeitsgericht hat dieser Ansicht eine Absage erteilt: Auch wenn nicht alle Argumente für den Ausschluss des Kündigungsschutzes zutreffen, kommt es auf die Anzahl der Arbeitnehmer an.
Auch wer also täglich nur zwei oder drei Kollegen persönlich sieht, sollte sich im Falle einer Kündigung anwaltlich beraten lassen. Ggf. kann durch die Zusammenfassung von mehreren Niederlassungen die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes argumentiert und mit Erfolg geklagt werden. Arbeitgeber sollten sich vor Ausspruch einer Kündigung genau überlegen, ob wegen der Zusammenrechnung mehrerer Filialen nicht doch das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet.
Gleichwohl hat das Arbeitsgericht Münster am 03.02.2011, 1 Ca 643/10 sich der aufgehobenen Entscheidung des LAG Hamburg angeschlossen und auf das Unternehmen abgestellt. Die Untergerichte scheinen also an der gerade erst verworfenen Auffassung festzuhalten und werden es ggf. doch erreichen, dass das Bundesarbeitsgerichts – vielleicht nach einem personellen Wechsel – seine Auffassung ändert. Es bleibt also an dieser Stelle wie sonst auch spannend.
Dass eine Tendenz besteht, den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes auszuweiten, macht nunmehr das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.01.2013, AZ 2 AZR 140/12, deutlich. In diesem Fall wollte ein Obsthändler einen Hilfsarbeiter ohne Angabe von Gründen entlassen, da er annahm, dass das Kündigungsschutzgesetz für seinen Betrieb nicht galt. Er beschäftigte nämlich weniger als zehn Arbeitnehmer. Allerdings setzte er zusätzlich noch Leiharbeitnehmer ein. Hier war die Rechtsprechung bisher der Ansicht, dass diese nicht berücksichtigt werden müssen, da sie bei der Zeitarbeitsfirma und nicht bei dem Obsthändler angestellt waren. Folglich gewann der Arbeitgeber den Kündigungsschutzprozess in den beiden unteren Instanzen. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts sind die von ihm eingesetzten Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Betriebsgröße im Sinne des § 23 KSchG jedoch zu berücksichtigen. Denn der regelmäßige Einsatz von Leiharbeitnehmern führe dazu, dass der Betrieb nicht mehr ein kleines Team sei, bei dem es darauf ankommt, dass jeder Spitzenleistungen erbringt und das Betriebsklima zum mitarbeitenden Inhaber stimmt. Zudem deute der dauerhafte Einsatz der Arbeitnehmer auf eine finanzielle Leistungsfähigkeit hin, wie sie auch in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern vorliege. Der Fall wurde an die untere Instanz zurückverwiesen, da der Obsthändler behauptet hatte, dass einige Leiharbeitnehmer nicht regelmäßig bei ihm eingesetzt waren, was dann noch weiter aufgeklärt werden musste.
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Ich bin Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht und seit 2003 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Nachdem ich einige Jahre als angestellte Anwältin gearbeitet habe, gründete ich 2009 meine eigene Kanzlei. Ich befasse mich mit dem Zivil- und Wirtschaftsrecht insbesondere dem Arbeits-, Miet- und Insolvenzrecht und vertrete hierbei sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen.
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