Zum achten Mal fanden im rumänischen Cluj (Klausenburg) Internationale Treffen in Sachen Theater statt. Ein Bericht aus dem Nationaltheater mit Eindrücken von Dieter Topp
In der Universitätsstadt im rumänischen Siebenbürgen (Transsilvanien) mit wechselhafter dakischer, rumänischer, ungarischer, österreichischer und deutscher Vergangenheit brauchte es seit jeher Visionen sich zu behaupten, sei es geo-politisch, kulturell oder unter tagespolitischem Druck.
Nach den letztjährigen „Extremen“ im Treffen des Nationaltheaters „Lucian Blaga“ Cluj-Napoca lagen in 2018 für Mihai Maniutiu (Generalmanager) und Stefana Pop-Curseu (künstlerische Leiterin) daher „Visionen“ (VIZIUNI) nahe. Ein kurz zuvor gescheitertes Referendum der (scheinsozialistischen) Landesregierung ließ im Laufe des Festivals die Hoffnung auf eine demokratische Grundeinstellung der rumänischen Bevölkerung im positiv europäischen Sinne weiter anwachsen.
So wirkten die Gespräche der Besucher und Festivalteilnehmer durchweg freudig gelöst. Konzentration auf Aussagen der Stücke und die Frage nach der Verbreitung rumänischen Theaters im europäischen Raum standen wieder im Mittelpunkt des Interesses von rumänischen und internationalen Theaterspezialisten, Regisseuren, Schauspielern, Bühnenbildern, Schriftstellern, Theaterkritikern und Journalisten.
All diese und nicht zu vergessen die zahlreichen Theaterbesucher der zweitgrößten Stadt Rumäniens nutzten die Chance, an vielen weiteren Veranstaltungen wie Ausstellungen, Konferenzen, Diskussionen und Buchvorstellungen zu partizipieren. Das ergab die Möglichkeit eines direkten Kontakts untereinander, sowie der Aussprache über rumänisches Theater im europäischen und internationalen Kontext.
Mit Recht waren die Veranstalter davon überzeugt, in diesem wertvollen und substantiellen Umfeld einen kreativen nationalen und internationalen Dialog zu initiieren und festigen. Das Ziel des Treffens, eine Dialogplattform zwischen verschiedenen Kulturpersönlichkeiten zu schaffen und Kommunikationsnetzwerke zwischen Theaterpersönlichkeiten aus aller Welt zu initiieren, sowie kulturelle Kooperationen und Initiativen im internationalen Kontext durchzuführen, konnte in dieser achten Ausgabe der Cluj Kulturtreffen ein weiteres Mal kreativ evaluiert und konsolidiert werden.
VISIONEN im Umfeld und der Herausforderung des 100. Geburtstags der sog. großen Vereinigung und der Etablierung eines modernen Rumäniens sollten die vielschichtigen rumänischen Geisteshaltungen anhand ausgewählter Adaptionen und Dramaturgien von Werken visionärer rumänischer Schriftsteller vom 19. Jahrhunderts bis heute dokumentieren, so der Vorspann des Veranstalters, des Nationaltheaters „Lucian Blaga“ Cluj-Napoca.
Der Schriftsteller Lucian Blaga kam in der Adaption einer mehr als 500 Jahre alten religiösen Saga „Meister Manole“ über den Bau einer Kirche und den echten Zweifel an so etwas wie einen Glauben zu Wort. Diese wiederum fast 100 Jahre alte Fassung wurde vom Regisseur Andrei Majeri und den Kostümen von Lucian Broscatean in ein zeitgenössisches Umfeld transportiert, wenig kongruent zur reaktionären und Menschen verachtenden Denke der Rumänisch-Orthodoxen Kirche.
In der „Gypsiade“, eines 200 Jahre alten Epos des rumänischen Nomaden Budai-Deleanu imitierte Regisseur Alexandru Dabija gekonnt den scheinheldenhaften Stil rumänisch-heroischen Literatur, um ein wenig heroisches Thema zu persiflieren. Mit den „Gallanten der alten Schule“ nach Mateiu Caragiale zelebrierte Regisseur Razvan Muresan genussvoll das pompös dekadente Bild der Bukarester High Society des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Ballettkomödie „Der Bürger als Edelmann“, ein Höhepunkt der Zusammenarbeit von Molière und dem Komponisten Lully, erwies sich in der Regie von Maniutiu und der Choreografin Andrea Gavriliu ein weiteres Mal als ein solcher in der Produktion der Ungarischen Theaters Cluj. Letzteres traf mit „Illegitimate“ (Sitarua/Grigore), einer Familiengeschichte um die Abwesenheit der Mutter, ins Schwarze und wurde gerade im als bestes Stück im Bukarester „FESTin pe Bulevard“ ausgezeichnet.
Gleich zwei Werke von Matei Visniec standen auf dem Programm, „Clown gesucht“ und „On the Sensation of Resilience when Treading on Dead Bodies“. Letzteres als Hommage zum 100. Geburtstag an Eugène Ionesco, womit er den berühmten Kollegen auf der Bühne personalisierte. Absurd und Post-absurd trafen hier aufeinander.
„Gute Texte in unguter Umgebung“ lautete das Motto einer Reihe von Vorstellungen und Ausstellungen im Zusammenhang mit dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918, wozu der Schauspieler Ionut Caras eine tief gehende theatralische Lesung mit „Briefen von der Front“ gestaltet hatte. In Erinnerung an Antisemitismus des vorigen Jahrhunderts mit direktem Transfer zum Heute ergriff das Publikum die Vorstellung „Rambuku“ (Jon Fosse). Regisseur Mihais Maniutiu hatte das Stück mit dem Nationaltheater Timisoara als zeitungebundenen Totentanz gedeutet. Nicht umsonst wurde diese Inszenierung als bestes Stück im Jahr 2017 von der Vereinigung der Schauspieler und Theater Rumäniens (Uniter) ausgelobt.
Im Reactor, einer freien Bühne zur „Untersuchung der jüngsten Geschichte anhand demokratischer Übungen“, wurde ein seit 15 Jahren andauernder Fall möglichen Missbrauchs am Beispiel eine jungen Mädchens und die zwielichtige Rolle der Presse dazu in M.I.S.A.NDERSTANDING (Bacanu/Musoiu) dokumentiert. In einem weiteren Fall „Das Wunder von Cluj“ bearbeiteten Ionescu/Schwarz die Pyramide eines Milliardenbetrugs an Rumänen, der das Land in den 90ger Jahren in eine „tief dunkle Zeit“ stürzte.
Nach der Frage um den Preis beim Verlassen des östlichen Heimatlands nach Westen von Slawomir Mrozek, gab Regisseur Tudor Lucano die abschließende Antwort, Migration sei es wert, so lange man das Risiko eingehe, sich selber wieder zu finden.
Einen fulminanten Abschluss legte die Mannschaft des gastgebenden Theaters „Sveijk In Concert“ nach J. Hasek mit der unverkennbaren Musik von Ada Milea auf die Bühne: ein musikalisch-komödiantisch-theatralischer Hochgenuss, ein Abschied vom Internationalen Treffen in Cluj, der den Besuchern sehr schwer fiel. Aber die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit diesem wunderbaren Theater und seinen Könnern im nächsten Jahr ist geblieben.
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