Die Staffelung des Grundgehalts in der Besoldungsordnung A nach Stufen gemäß § 27 BBesG in der bis zum 31.08.2006 geltenden Fassung bewirkt eine unmittelbare Diskriminierung… .
Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat mit Urteil vom 20.08.2012 entschieden, dass:
1. Die Staffelung des Grundbehalts in der Besoldungsordnung A nach Stufen nach § 27 BBesG in der bis zum 31.08.2006 geltenden Fassung eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters i. S. d. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG bewirke,
2. Diese Diskriminierung könne weder nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG noch nach Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt werden,
3. Als Folge der unzulässigen Diskriminierung sei das Grundgehalt nach Endgrundgehalt zu bemes-sen, da nur insoweit die Besoldungsordnung A keine Diskriminierung bewirke und die sonstigen Re-gelungen zur Bemessung des Grundgehalts in dieser Besoldungsgruppe wegen des Vorrangs des Unionsrechts außer Anwendung bleiben müssen,
4. Ansprüche auf Nachzahlung der Besoldung aus der höchsten Stufe unterliegen lediglich der entsprechenden Anwendung der allgemeinen Verjährungsbestimmungen,
5. Der vom BVerfG entwickelte Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung betreffe Fälle einer mit dem GG unvereinbaren Besoldung und gäbe im Übrigen lediglich dem Gesetzgeber die Möglichkeit, bei den von ihm zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes erst noch zu schaffenden Regelungen eine rückwirkende Begleichung von Ansprüchen ggf. zu beschränken, ohne jedoch zum Erlass derartiger Regelungen zu verpflichten.
Auszüge aus den Gründen:
„…Der Kläger wird durch die Regelung des § 28 BBesG a.F. i. V. m. der daran anknüpfenden Regelung des § 27 Abs. 1 BBesG und den diese Bestimmung betragsmäßig ausfüllenden Bestimmungen der hessischen Besoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetze wegen seines Alters ungleich behandelt, ohne dass es hierfür eine Rechtfertigung gibt.
Eine Ungleichbehandlung des Klägers i. S. d. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG liegt vor. Der Kläger erfährt wegen seines Alters in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als andere Personen. Die weniger günstige Behandlung des Klägers besteht darin, dass das hier anzuwendende Besoldungssystem die Höhe seines Grundgehalts mit dem Lebensalter verknüpft, und sich mit dem Anstieg des Lebensalters auch das jeweilige Grundgehalt erhöht. § 28 Abs. 1 BBesG lässt das Besoldungsdienstalter als maßgebliche Bezugsgröße für die Ermittlung der in § 27 Abs. 1 BBesG und der Besoldungsordnung A ausgewiesenen Stufen des Grundgehalt mit der Vollendung des 21. Lebensjahres beginnen. Daran anknüpfend vollzieht sich der Aufstieg in den verschiedenen Stufen nach § 27 Abs. 2 BBesG in Abständen von zunächst 2 Jahren, später im Abstand von 3 und noch später im Abstand von 4 Jahren. Es handelt sich um eine linear mit dem Lebensalter ansteigende Bemessung des Grundgehalts.
Dies benachteiligt den Kläger in besoldungsrechtlicher Hinsicht gegenüber lebensälteren Kollegen oder Kolleginnen, die mit höherem Lebensalter bereits das Endgrundbehalt erhalten.
Der Umstand, dass gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 BBesG a.F. für die Bemessung des Grundgehalts ein vom bio-logischen Lebensalter abweichendes Lebensalter zu Grunde gelegt wird, wenn ein Beamter oder eine Beamtin zum Zeitpunkt der Einstellung älter als 31 Jahre bzw. im höheren Dienst älter als 35 Jahre ist, führt zu keiner anderen Bewertung. Die Regelung modifiziert zwar das am biologischen Lebensalter anknüpfende Besoldungssystem, indem es für die Fallgruppe der sogenannten Späteinsteiger/innen ein spezifisch besoldungsrechtliches, gegenüber dem biologischen Alter geringeres Alter einführt. Maßgebli-cher Bezugspunkt für die Festsetzung dieses Besoldungsdienstalters bleibt aber auch in diesen Fällen das biologische Alter. Dies ergibt sich schon daraus, dass sog. Späteinsteiger/innen einen Teil ihres bereits fortgeschrittenen Lebensalters gleichsam behalten, weil der spätere Einstieg nicht in vollem zeitli-chem Umfang zur Absenkung des Besoldungsdienstalters und damit der Besoldungsstufe führt, son-dern zunächst bis zur Vollendung des 35. Lebensjahres lediglich um ein Viertel des fortgeschrittenen Alters und danach um die Hälfte des die Grenze übersteigenden Zeitraums für die Betroffenen nachtei-lig wirkt. Diese profitieren daher trotz ihres späteren Einstiegs immer noch vom höheren Lebensalter.
Dementsprechend hat der EuGH eine mit der Besoldungsordnung A in der hier zu beurteilenden Fas-sung vergleichbare Regelung des Bundes-Angestelltentarifvertrags als eine unmittelbar an das Alter anknüpfende Ungleichbehandlung i. S. d. Art. 2 Abs. 1, 2 Buchst. a RL 2000/78/EG angesehen (EuGH, U. v. 9.9.2011 – Rs. C-297/10 und C 298/10 – NZA 2011, 1100, 1102 Rn. 59 = AGG-ES E.III.11 Art. 6 RL 2000/78/EG Nr. 21 – „Hennigs“ und „Mai“). Das BAG ist dem in seiner Rechtsprechung gefolgt (BAG U. v. 10.11.2011 – 6 AZR 148/09 – NZA 2012, 161, 162 Rn. 13). Die Abweichungen in der Ausgestaltung der Besoldungsordnung A von der Vergütungsstruktur des früheren BAT rechtfertigen keine Beurtei-lung, die im Hinblick auf die vom EuGH dargestellten Grundsätze und Einschätzungen zum Vorliegen einer unmittelbaren Altersdiskriminierung eine abweichende Beurteilung durch die Kammer rechtfer-tigen. Diese ist nach Art. 267 AEUV an die Auslegung der RL hinsichtlich des Vergütungsmodells des BAT und damit der ihm entsprechenden Modelle an anderer Stelle, hier im Beamtenrecht gebunden. Insbesondere gilt dies hinsichtlich der in § 28 Abs. 2 BBesG getroffenen Regelungen zum Hinausschie-ben des Besoldungsdienstalters bei sog. Späteinsteigern bzw. Späteinsteigerinnen. Mit den vergleichba-ren Regelungen des BAT hat sich der EuGH eingehend auseinander gesetzt und sie dahin beurteilt, dass dadurch die von der Vergütungsgestaltung ausgehende unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters nicht wiederlegt wird.
Gegenteiliges ergibt sich nicht aus der in § 27 Abs. 3 BBesG. Danach kann bei herausragenden Leistun-gen die nächsthöhere Stufe als Grundgehalt gewährt werden, wobei die Zahl der davon Begünstigten 15% der beim jeweiligen Dienstherrn vorhandenen Beamtinnen und Beamten der Besoldungsordnung, die das Endgrundgehalt noch nicht erreicht haben, nicht übersteigen darf (§ 27 Abs. 2 S. 1, 2 BBesG). Bei nicht mehr dem Durchschnitt entsprechenden Leistungen darf das Verbleiben in der erreichten Stufe des Grundgehalts angeordnet werden (§ 27 Abs. 2 S. 3 BBesG). Diese Regelungen tragen zwar in begrenztem Umfang Leistungselemente in die Bemessung des Grundgehalts hinein. Sie prägen jedoch die Vergütungsgestaltung nicht maßgeblich und änder nichts daran, dass maßgebender Faktor für die Bemessung des Grundgehalts das jeweilige Lebensalter bleibt. Für den Bereich der Vorwegnahme ei-ner Besoldungsstufe ergibt sich dies einerseits aus Begrenzung der Begünstigten auf einen relativ klei-nen Teil derjenigen, die noch nicht das Endgrundgehalt beziehen, nämlich maximal 15%, sodass 85% der in einer Stufe unterhalb des Endgrundgehalts befindlichen Beamtinnen und Beamten auf jeden Fall ausschließlich nach dem Lebensalter oder unter dessen maßgeblicher Bedeutung besoldet werden. Zum anderen hat das beklagte Land als Dienstherr des Klägers für seinen Bereich ermittelt, dass 37 Beamte oder Beamtinnen in den Genuß einer Vorweggewährung einer Besoldungsstufe gekommen sind. Dies ist angesichts der Größe des Personalkörpers des Beklagten im Bereich der Besoldungsordnung A ein so verschwindend geringer Anteil, dass auch insoweit keine Rede davon sein kann, die Stufigkeit der Besoldungsordnung sei vom Leistungsprinzip geprägt mit der Folge, dass sich die altersbezogenen Anknüpfungspunkte als völlig untergeordnet darstellen würden.
Bestätigt wird das Ergebnis durch die Beweislastregel des § 22 AGG bzw. Art. 10 RL 2000/78/EG. Das Indiz für die Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters ergibt sich unmittelbar aus § 28 Abs. 1 BBesG, da die nachfolgenden Regelungen in § 28 Abs. 2 BBesG nach der Rechtsprechung des EuGH von vornherein nicht geeignet sind, das entsprechende Indiz für eine Altersdiskriminierung zu widerlegen. Folglich trifft in Bezug auf die Widerlegung der Vermutung einer Altersdiskriminierung durch § 27 Abs. 3 BBesG das beklagte Land die Darlegungslast und die materielle Beweislast. Dies folgt schon daraus, dass es sich um eine Regelung handelt, die ihre Bedeutung erst durch eine bestimmte Personalpraxis erhält. Nur die vollständige Ausschöpfung der dadurch eröffneten Möglichkeiten könnte überhaupt Anlass für die Annahme bieten, es gehe bei der Stufigkeit der Grundgehälter in Wahrheit um etwas anderes als eine altersbezogene Bezahlung. Diesen Darlegungs- und Beweisanforderungen wird das (ergänzende) Vorbringen des Beklagten, die genaue Zahl der von § 27 Abs. 3 BBesG Betroffenen lasse sich überhaupt nicht ermitteln, ersichtlich nicht gerecht.
Die Ungleichbehandlung in Bezug auf das Alter ist nicht nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt. Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Als ein legitimes Ziel nennt diese Bestimmung unter anderem ausdrücklich die Festlegung von Mindestanforderungen an die Berufserfahrung für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile. Dementsprechend hat der EuGH wiederholt anerkannt, dass die Honorierung der von einem Arbeitnehmer erworbenen Berufserfahrung, die es diesem ermöglicht, seine Arbeit besser zu verrichten, in der Regel ein legitimes Ziel der Entgeltpolitik darstellt (EuGH, U. v. 3.10.2006 – Rs. C-17/05 – NZA 2006, 1205, 1206 Rn. 34 = AGG-ES E.I.2 Art. 141 EG Nr. 2 – „Cad-man“; 18.6.2009 – Rs. C-88/08 NZA 2009, 891, 893 Rn. 47 = AGG-ES E.III.11 Art. 6 RL 2000/78/EG Nr. 8 – „Hütter“; 8.9.2011, a.a.O. S. 1103 Rn. 72). Hierauf beruft sich im vorliegenden Verfahren auch der Be-klagte…..“
Das Verwaltungsgericht Frankfurt reiht sich mit dieser Entscheidung in einer Vielzahl von gleichgelagerten Urteilen anderer Verwaltungsgerichte ein. So hat das Verwaltungsgericht Berlin mit Entscheidung vom 13.11.2012, 7 K 215.12 das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof mit sachlich gerechtfertigen Fragen zur Entscheidung vorgelegt.
Es dürfte zukünftig davon auszugehen sein, dass bei einer „positiven“ europarechtlichen Entscheidung Nachzahlungen – ohne die vorherige Ergreifung von Rechtsmitteln – nicht automatisch erfolen werden.
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