Mitten im Zentrum der rumänischen Hauptstadt Bukarest liegt am belebten Bulevard Magheru das Nottara Theater, eine Boulevard-Institution in der Theaterlandschaft des Landes.
(von Dieter Topp) Das Repertoire des Theaters, Boulevardstücke, eine Art grobe Komödien, Burlesken oder Schwänke, lebt von seinen treuen Besuchern. Da existiert wenig Unterschied zwischen Ost und West. Von Paris bis Bukarest stehen allabendlich die Liebhaber Schlange.
Im Französischen hat „Boulevardtheater“ nicht den negativen Anstrich, den es in Deutschland besitzt, und kann sich auf aktuelles Zeittheater in einem respektablen Rahmen beziehen. Paris und Bukarest sind sich historisch in so Manchem ganz nah und eng beieinander.
„Das Nottara Theater wurde im Jahre 1947 gegründet. Über 70 Jahre ununterbrochener Erfahrung garantieren dem Theater seine verdiente Beliebtheit und die Lebensdauer, selbst wenn es um den Fortbestand der Räumlichkeiten schon einmal gegenteilig aussah. Das Nottara als Mitglied der großen Kulturvereinigungen in Rumänien und der europäischen Festivalunion pflegt repräsentative Theaterstücke bedeutender klassischer und wichtiger zeitgenössischer Verfasser der universalen und nationalen Schauspielkunst.
Seit einiger Zeit steht das Haus als hautstädtischer Botschafter des international anerkannten Shakespeare-Festivals von Craiova mit Stücken des berühmten Schreibers in Bukarest zur Verfügung. Dies hilft nicht nur dem Veranstalter in der Provinz, sondern erhöht andererseits die Attraktivität des Hauses in Bukarest in Sachen Kultur-Tourismus.
Dem will Generalmanagerin und Festivalchefin Marinela Tepes einerseits gerecht werden. Doch hat sie seit einigen Jahres Vieles hinzugefügt, was den Rang des Hauses mächtig steigerte. In diesem sechsten „FESTin pe Bulevard“- Jahr breitete das Theater vom 12.-21. Oktober in eben diesem Sinne seine Aktivitäten aus.
Das Nottara Festival öffnet sich kontinuierlich, sucht nach internationalen Beiträgen und scheut nicht, ausländische Presse und Beobachter hinzu zu bitten. Dies düpiert regelmäßig die „Dinosaurier“ unter den rumänischen Theaterkritikern und das nationale Theaterfest, bringt jedoch andererseits internationalen Zuspruch und ausländische Besucher.
In diesem Jahr fanden dementsprechend u.a. französische, italienische, bulgarische, serbische, polnische, kasachische und Moldauer Theater, Repräsentanten und Verantwortliche den Weg nach Bukarest. Die schier unermessliche Zahl rumänischer Beiträge der Festivalausgabe lies einen Rundblick über die lebendige und facettenreiche Theaterlandschaft Rumäniens zu. Schauspielhäuser aus Arad, Baia Mare, Braila, Galati, Piatra Nemt, Satu Mare, Sibiu, Sfantu Gheorghe, Suceava, Targu-Mures und Tulcea präsentierten sich mit überspringender Spielbegeisterung dem Hauptstadt-Publikum und ausländischen Gästen. Letztere erstaunten sich über ein einzigartiges, gesamtrumänisches Bild.
Nicht zu vergessen seien die ungarischen Theater des Landes. 18 Ethnien sind in Rumänien heute als Minderheiten staatlich anerkannt. Sie sind mit je einem eigenen Abgeordneten im Parlament vertreten – mit vollem Stimmrecht. Verschiedene Gesetze stellen außerdem sicher, dass alle Minderheiten ihre eigene Sprache, Kultur und Religion bewahren können.
Die ungarischen Theater spielen dabei eine wichtige Rolle, besonders als Gegenpol zum ausgeprägten Nationalismus in Ungarn helfen sie Kulturschaffenden, offene demokratische Denkweisen und Handlungen in völkerverbindendem Tenor auf die Bühne zu bringen, dementsprechend häufig in Ungarn verboten. Das ungarische Theater aus Cluj erhielt den diesjährigen Preis für die beste Vorstellung im Festivalwettbewerb. Das Stück ILLEGITIM wurde ausgezeichnet, ein Beispiel für die hohe Qualität dieses Theaters.
Kommunikationskrise im Festival 2018
„Theater beherrscht die Kunst der Kommunikation und ist prädestiniert, sich der allumfassenden Krise zu widmen“, so Marinela Tepus. „Während alle über die Freiheit der Massenmedien reden und die sozialen Netzwerke uns näher zueinander bringen, stellen wir die Gefahr von Manipulation in den Fokus, mischen uns in das Leben der Menschen ein, machen auf soziale Dysfunktionen aufmerksam, stellen Fragen und geben manchmal sogar Antworten“, so die Festivalleiterin weiter. Dabei fanden nach den Vorstellungen mit besonders brennenden sozialen Themen Diskussionen mit Besuchern, Schauspielern und Theatermachern statt. Im Gegensatz dazu erheiterten mehrere Premieren des Nottara das Festival. Zeitgenössisches Tanztheater wurde bejubelt. Symposien, Buchvorstellungen und Lesungen rundeten das 10tägige Geschehen auf dem Magheru Bulevard ab.
Theater im Knast seit 2009
Eine Reihe ganz besonderer und sozial bedeutender Art findet im Anschluss an das Festival und bereits seit dem Jahr 2009 in Bukarest statt. Die zuständige nationale Verwaltung öffnet die Gefängnistore zum „Multi-Kunst-Festival“ für die Insassen. Hier findet zwischen Künstlern und Theater-Gruppen des gesamten Gefängnissystems und der Öffentlichkeit ein direkter Kontakt statt. Hier kommt die Öffentlichkeit konkret mit der „Wirklichkeit im Knast“ in Berührung, eine neue Realität für den Augenblick, zu welcher sie anders nie die Möglichkeit hätte: „Culture Unchained“ in 10. Ausgabe. Seit Beginn der Reihe haben 615 Insassen in 64 Produktionen auf der Bühne des Nottara gestanden, Auszeichnungen für beste Vorstellung, beste Regie, beste*r Schauspieler*in erhalten. Hier findet der Versuch einer ganz eigenen Reintegration statt. Daran arbeiten (zumeist bescheiden im Hintergrund) Theatermacher unter sozialpädagogischen Aspekten.
Dem Nottara Theater sei zu diesem Festival gratuliert, einen Weg zwischen guter Unterhaltung und sozialem Engagement gefunden und realisiert zu haben. In bescheidenem Auftreten wurde ein weiteres Mal Besonderes geleistet, die Türe im aktuellen politischen Tagesgeschehen von Rumänien für gutes Theater im sozialen Kontext weit offen gehalten. (www.nottara.ro)
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